Seminarbericht

Zeitliche Verzögerungen (Delays) in Ursache-Wirkung-Beziehungen spielen eine fundamentale Rolle in vielen Wissenschaftsbereichen, etwa in Physik, Chemie, Ingenieurwissenschaften, Biologie, Mathematik oder Sozialwissenschaften. Die volle Breite dieser Disziplinen vertraten 55 Wissenschaftler/innen aus 17 Ländern und 5 Kontinenten beim 675. WE-Heraeus-Seminar, das vom 2. bis 5. Juli 2018 im Physikzentrum in Bad Honnef stattfand. Obwohl die Anfänge der Forschung zu Delay-Systemen über 60 Jahre zurückliegen, sind viele Fragen von fundamentaler Bedeutung noch unbeantwortet, insbesondere wenn die Delays wie oft in der Realität zeitlich oder zustandsabhängig variieren.

Der interdisziplinäre Charakter spiegelte sich auch in den 22 Vorträgen international höchst renommierter Sprecher wider. Einen sehr guten Überblick über den aktuellen Stand von optischen und elektro-optischen Experimenten zu komplexen Delay-Systemen erhielten die Teilnehmer in den Vorträgen von Rajarshi Roy (University of Maryland, USA), Laurent Larger (FEMTO-ST, Besançon, Frankreich) und Ingo Fischer (UIB, Palma de Mallorca, Spanien), wobei die Themen von Einzelphotoneneffekten und der Erzeugung von Zufallszahlen über neuro-inspirierte Informationsverarbeitung mittels Reservoir-Computing bis hin zu Synchronisations- und Netzwerkaspekten reichten. In einem Abendvortrag berichtete Eckehard Schöll (TU Berlin) über den kombinierten Einfluss von Netzwerk-Topologien und Delays beim Auftreten von so genannten Chimeras, also partiell synchronisierten Zuständen. Sehr interessante Einblicke in die Relevanz von zustandsabhängigen Delays in der Klimadynamik und in biologischen Systemen gaben Bernd Krauskopf (University of Auckland, Neuseeland) und Michael Mackey (McGill University, Montreal, Kanada) anhand von Modellen zum Phänomen der El Niño Southern Oscillation bzw. zur Genregulation. Was man über das menschliche Gehirn aus zeitverzögerter Feedback-Dynamik lernen kann, zeigte John Milton (W.M. Keck Science Center, Claremont, USA) in seinem Vortrag über Experimente zum Balancieren von Gegenständen, bei denen stochastische Delays eine grundlegende Rolle spielen.

Nachwuchswissenschaftler/innen bekamen Gelegenheit, in Vorträgen und 26 Posterbeiträgen ihre aktuellen Ergebnisse vorzustellen. Joseph Hart (College Park, Maryland, USA), Courtney Quinn (Exeter, UK) und Gabriella Petrungaro (Buenos Aires, Argentinien) wurden dabei mit Poster-Preisen zu den Themen Netzwerk-Experimente, paläoklimatische Modelle bzw. Chimeras ausgezeichnet. Die Teilnehmer und Organisatoren danken der WE-Heraeus-Stiftung für ihre großzügige und professionelle Unterstützung bei der Durchführung des Seminars.

Dr. Andreas Otto, Prof. Dr. Günter Radons, TU Chemnitz
Dr. Wolfram Just, Queen Mary University of London