Seminarbericht

Dunkle Materie macht den größten Teil der gravitierenden Masse im Universum aus und ist für das Wachstum der kosmischen Strukturen verantwortlich. Mehrere Indizien deuten darauf hin, dass sie aus Elementarteilchen besteht, die in den frühen Phasen des Urknalls entstanden sind und sich von der gewöhnlichen (oder baryonischen) Materie unterscheiden. Der bevorzugte Kandidat sind Teilchen, wie sie von den supersymmetrischen Theorien der Teilchenphysik vorhergesagt werden, sog. „kalte dunkle Materie“ (CDM). Während die bereits 35 Jahre lange Suche nach diesen Teilchen bislang keinen eindeutigen Nachweis erbracht hat, können allerdings auch verschiedene astrophysikalische Phänomene Aufschluss über ihre Identität geben. Die Erforschung dieser astrophysikalischen Fenster zur dunklen Materie war das Hauptziel dieses britisch-deutschen Seminars, das vom 3. – 5. November 2021 in der prächtigen Atmosphäre der Royal Society im Zentrum Londons stattfand.

Der Workshop begann mit einem Überblick über den aktuellen Stand des direkten und indirekten Nachweises dunkler Materie. Neue Experimente wie Xenon-nT werden in den nächsten ein bis zwei Jahren Ergebnisse liefern. Was den indirekten Nachweis betrifft, so wurde viel über die noch nicht geklärte Ursache des „Gammastrahlenüberschusses“ diskutiert, den der Fermi-Satellit vor einigen Jahren in Richtung des galaktischen Zentrums entdeckt hat. Weitere Vorträge stellten die populärsten Alternativen zu CDM vor, wie selbst wechselwirkende, warme oder „fuzzy“ dunkle Materie sowie „überschwere dunkle Materie“, die entsteht, wenn primordiale Schwarze Löcher verdampfen.

Zu den diskutierten astrophysikalischen Sonden für dunkle Materie gehören schwache und starke Gravitationslinsen, Lücken in den stellaren Strömen, die von Gezeitenkräften gestörte Zwerggalaxien hinterlassen, und Gravitationswellen. Einige dieser Sonden haben zum Ziel, Halos aus dunkler Materie nachzuweisen, deren Masse so gering ist, dass sie keine Galaxie bilden können. Diese sind besonders interessant, da verschiedene Modelle unterschiedliche Vorhersagen zu ihrer Anzahl und ihren Eigenschaften machen.

Der letzte Teil des Seminars konzentrierte sich auf Sonden in unserem lokalen Universum, insbesondere auf die Eigenschaften von Zwerggalaxien, einschließlich der Satelliten, die um die Milchstraße kreisen, und die Milchstraße selbst. Zwerggalaxien sind sehr interessant, weil sie hauptsächlich aus dunkler Materie bestehen. In drei offenen Diskussionsrunden ging es u.a. um die Frage: „Wie werden wir die Welt davon überzeugen, dass wir die dunkle Materie entdeckt haben (falls wir es tun)?“

Dieses Seminar war das erste Treffen der Teilnehmer seit etwa zwei Jahren, und alle waren überglücklich, nach der Covid-Pandemie endlich wieder Freunde und Kollegen unter Einhaltung strikter Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Wir danken der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung für die großzügige Förderung des Seminars.

Prof. Carlos S. Frenk, Durham University, UK
Prof. Anne Green, University of Nottingham, UK
Prof. Volker Springel, Prof. Simon D. M. White, Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching