Seminarbericht

Die bestehende Theorie des Quantenchaos befasst sich mit Hamiltonschen Systemen, d. h. Systemen – sowohl klassisch als auch quantenmechanisch –, die vor Umgebungseinflüssen geschützt sind und deren Entwicklung völlig kohärent ist. Mit dem Aufkommen von neuen experimentellen Quantenplattformen, z.B. optomechanischen Systemen, Mikrowellen- und supraleitenden Schaltkreisen und (dissipativen!) exziton-polaritonischen oder nur polaritonischen Elementen muss unser Verständnis des Quantenchaos auf offene Quantensysteme erweitert werden. All diese neuen Systeme sind offen, mit anderen Worten, sie interagieren mit ihrer Umgebung, und ihre Dynamik ist im Wesentlichen dissipativ. Obwohl sie bereits technologische Realität geworden sind, ist die Beziehung zwischen diesen Quantensystemen und ihren klassischen Pendants, die als dissipative dynamische Systeme bekannt sind, noch immer unklar.

Das Ziel dieses Seminars war es, diese Beziehung herzustellen bzw. die Frage „Können wir dissipatives Chaos ‚quantisieren‘?“ zu beantworten. Dazu kamen Experten für sowohl das klassische dissipative Chaos als auch für dissipative Quantendynamik vom 16. bis 20. Dezember 2019 in das Physikzentrum. Das Programm umfasste „klassische“ Vorträge ebenso wie „Quanten-Vorträge“ und solche auf der schmalen Grenze zwischen beiden. So stellte z.B. Sergiy Denysov (Oslo) jüngste Fortschritte vor wie die Spektraltheorie der Generatoren der dissipativen Quantenentwicklung und verschiedene Verallgemeinerungen des Konzepts von Lyapunov-Exponenten, einem der Eckpfeiler der klassischen Chaostheorie, auf den Quantenfall. Die Quantenversionen von Lyapunov-Exponenten bzw. die Spektraltheorie waren auch Thema weiterer Vorträge.

Weitere Vorträge widmeten sich dem Phänomen der Synchronisation in offenen Quantensystemen. Jüngste experimentelle Ergebnisse mit mikrowellengetriebenen Quanten-Meta-Materialien hoben die praktische Relevanz von dissipativem Quantenchaos hervor, einer neuen Forschungsrichtung in diesem Gebiet. Das Seminar war ein wichtiger Schritt für die Entwicklung dieser neuen Theorie.

Es gab viele heiße Diskussionen, die zum Teil bis in die späte Nacht gingen, und viele Pläne für zukünftige Kollaborationen wurden geschmiedet. Dazu trug die einzigartige Atmosphäre des Physikzentrums Bad-Honnef bei, die ein starker Katalysator für neue Ideen und deren Austausch aus. Die Organisatoren sind der Wilhelm und Else Hereaus-Stiftung sehr dankbar für ihre großzügige Unterstützung des Seminars.

Prof. Dr. Sergej Flach, Center for Theor. Physics of Complex Systems, Südkorea
Prof. Dr. Jürgen Kurths, HU Berlin und PIK Potsdam
Prof. Dr. Mikhail Ivanchenko, Lobachevsky U, Russland