Seminarbericht

Verlustfreier Stromtransport in Supraleitern ist auch bei GHz-Frequenzen interessant: Hier sorgt die Trägheit der supraleitenden Ladungsträger (Kondensat von Cooper-Paaren) für ein phasenverschobenes Verhalten, das einer Spule entspricht und als kinetische Induktivität charakterisiert wird. Seit gut 15 Jahren wird dieses Phänomen in Kinetic Inductance Detectors (KIDs) ausgenutzt, planaren supraleitenden Mikroresonatoren, bei denen Photonen Cooper-Paare aufbrechen, was als Verschiebung der Resonanzfrequenz messbar ist. KIDs haben sich inzwischen nicht nur als Multi-Pixel-Detektoren für die Astronomie bewährt, sondern sie werden auch in der Teilchenphysik eingesetzt. Seit einigen Jahren wird kinetische Induktivität auch im Kontext supraleitender Quantenschaltkreise ausgenutzt, um nahezu verlustfreie Bauelemente sehr hoher Induktivität zu erzielen. Diese lassen sich entweder aus Tausenden mikrostrukturierten Josephson-Kontakten konstruieren oder als einfache supraleitende Streifenleitung sehr geringer Cooper-Paar-Dichte. Letzteres tritt in stark ungeordneten oder granularen Supraleitern auf, die ein eigenes Forschungsgebiet darstellen, etwa in Zusammenhang mit dem bei derartigen Materialien möglichen Supraleiter-Isolator-Übergang. Diese Physik ungeordneter Supraleiter wird derzeit auch intensiv bei GHz-Frequenzen untersucht, so dass hier kinetische Induktivität ebenfalls eine große Rolle spielt – auch wenn sie in diesem Kontext bisher meist nicht als solche bezeichnet wird.

Dieses Seminar, das vom 11. bis 13.11.2019 in Bad Honnef stattfand, hatte als Ziel, all diese unterschiedlichen Forschungsgebiete an einem Ort zusammenzubringen: fundamentale Materialphysik ungeordneter Supraleiter, Quantenbauelemente mit großer Induktivität, KIDs für Teilchenphysik und Astronomie. Diese Konstellation war für alle Beteiligten inhaltlich neuartig, doch dafür erwies sich das Format der WE-Heraeus-Seminare mit überschaubarer Teilnehmerzahl und mit längeren einführenden Vorträgen als ideal: Das gemeinsame Interesse an einem vergleichsweise speziellen, sehr konkreten Teilaspekt des großen Forschungsgebietes „Supraleitung“ sorgte für ausgesprochen lebhafte Diskussionen mit Beiträgen aus unterschiedlichen Blickwinkeln, was sich auch bei den Postersitzungen bis in die Nacht hinein zeigte. Wir danken der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung für die Möglichkeit, ein derartiges Zusammentreffen mehrerer Physik-Fachrichtungen zu wagen und für die perfekte organisatorische Unterstützung.

Dr. Laura Cardani, INFN Rom
Dr. Ioan Pop, Karlsruher Institut für Technologie
Dr. Marc Scheffler, Universität Stuttgart