Seminarbericht

Ursprünglich war dieses Seminar zur Physik ultrakalter Quantengase vom 14. – 18. Dezember 2020 im Physikzentrum in Bad Honnef geplant. Pandemiebedingt wurde aber kurzfristig umdisponiert, und es fand dank tatkräftiger organisatorischer Unterstützung der WE-Heraeus-Stiftung mit 120 Teilnehmern online statt. Das via Zoom durchgeführte wissenschaftliche Programm bestand aus 23 eingeladenen Vorträgen internationaler Experten, sechs Präsentationen engagierter Nachwuchswissenschaftler sowie 60 Kurzvorträgen, welche die sonst üblichen Postersitzungen ersetzten. Die lebhaften Diskussionen nach diesen Vorträgen zeigten, dass viele Teilnehmer dankbar dafür waren, sich nach langer Zeit wieder wissenschaftlich austauschen zu können. Demgegenüber wurde das Angebot zu Gesprächen in den Pausen oder am Abend über die interaktive Onlineplattform Wonder.me überraschenderweise nur vereinzelt aufgegriffen.
Ein erstes wissenschaftliches Highlight bestand in mehreren Beiträgen zur Realisierung eines Supersolids bei Quantengasen aus magnetisch dipolaren Atomen. Für die hierzu notwendige gleichzeitige spontane Brechung von Phasen- und Translationssymmetrie sorgen das Zusammenspiel von dipolarer und Kontaktwechselwirkung sowie eine Stabilisierung durch Quantenfluktuationen. Ferner wurden jüngste Fortschritte bei der Erzeugung quantenentarteter heteronuklearer Moleküle vorgestellt, sodass sich der neue supersolide Aggregatszustand von Materie in Zukunft wohl auch mit starker elektrisch dipolarer Wechselwirkung realisieren lässt.

Ein weiterer Schwerpunkt galt unterschiedlichen Aspekten der Nichtgleichgewichtsdynamik von Quantengasen. So wurde anhand wechselwirkender Fermionen in einem eindimensionalen optischen Gitter diskutiert, dass bei Vielteilchen-Quantensystemen statt einer Thermalisierung auch ein Zusammenbruch der Ergodizität vorliegen kann. Ferner bildet sich bei kontinuierlich getriebenen Quantensystemen unter Umständen eine universelle Dynamik aus, was sich durch ein charakteristisches Skalenverhalten von Observablen äußert. Auch Vielteilcheninterferenzen und Korrelationen wechselwirkender Bosonen spielten eine Rolle.

Darüber hinaus wurden weitere Forschungsrichtungen lebhaft im Plenum diskutiert. Paradoxerweise lässt sich ein Nichtgleichgewichtsphasenübergang vom Normal- zum Superfluid sogar schon mit wenigen Teilchen nachweisen. Ferner werden aktuell flache Energiebänder bei Gittersystemen realisiert, da sie aufgrund einer hohen Zustandsdichte die Ausbildung von Cooper-Paaren fermionischer Atome bei höheren Temperaturen ermöglichen. Weiterhin kann ein Algorithmus des maschinellen Lernens selbstständig topologische Phasenübergange von ultrakalten Atomen anhand experimenteller Daten explorativ erkennen. Und schließlich wurde vom ersten Bose-Einstein-Kondensat auf der Internationalen Raumstation berichtet, das nach Abschalten der magnetischen Falle deutlich stabiler ist als auf der Erde. Künftig ist mit Hilfe von Blasenfallen im Orbit geplant, Quantengase auch auf gekrümmten Flächen zu realisieren.

Priv.-Doz. Dr. Axel Pelster, TU Kaiserslautern

Prof. Carlos Sà de Melo, GATECH Atlanta/USA