Seminarbericht

Die Entwicklung neuer Werkstoffe ist für alle Industriezweige von entscheidender Bedeutung, da sie praktisch alle technologischen Anwendungen berührt, darunter erneuerbare Energieerzeugung, effiziente Ressourcennutzung und Komponenten für die Informationstechnologie. Eine der größten Herausforderungen dabei ist die immense Anzahl möglicher Materialklassen, die weit über das hinausgeht, was sich jemals synthetisieren und charakterisieren lässt. Digitalisierungsstrategien für die Materialforschung, die fortschrittliche Computermethoden mit modernsten experimentellen Techniken verbinden, bieten einen schnelleren und effizienteren Weg und werden die Materialforschung in den kommenden Jahren radikal verändern.

Dieses Seminar brachte vom 15. bis 18. Mai 2023 rund 70 Forschende aller Karrierestufen und mit unterschiedlichem Hintergrund aus 40 Instituten in 12 Ländern zusammen. Der Aufenthalt vor Ort im Physikzentrum in Bad Honnef war dem Austausch und der Zusammenarbeit besonders förderlich, da er allen die Möglichkeit bot, ihre Arbeit vorzustellen und in einem entspannten Rahmen zu diskutieren.

Die Themen der Vorträge und Poster umfassten verschiedene aktuelle Anwendungen des maschinellen Lernens und anderer datengesteuerter Techniken in der Materialwissenschaft sowie die Veränderungen, die dieser neue Ansatz für das Fachgebiet mit sich bringt, z.B. eine verstärkte Konzentration auf die Datenerfassung und -verarbeitung.

Das Seminar begann mit einem Vortrag von Claudia Draxl über das Potenzial – und die bereits bestehenden Erfolge – von FAIR-Daten für die Materialforschung (FAIR = Findable, Accessible, Interoperable, Reusable). Ein weiterer Höhepunkt war der Vortrag von Berend Smit über Big Data in der Chemie und im Chemieingenieurwesen. Im Folgenden lag ein Schwerpunkt auf den beiden Materialklassen Hochentropie-Legierungen sowie „metal organic frameworks“.

Zusätzlich zu den 12 eingeladenen Vorträgen gab es 9 weitere Präsentationen und 37 Poster, die ein breites Themenspektrum abdeckten und die Bedeutung der Automatisierung, Hochdurchsatz-Screening, Modellierung und der Digitalisierung in verschiedenen Bereichen der Materialwissenschaft, einschließlich Katalyse, erneuerbare Energien und elektronische Anwendungen unterstrichen.

Ein für die meisten etwas unerwarteter Aspekt des Treffens war die Rolle, die große Sprachmodelle (LLMs) wie ChatGPT bereits in der Materialwissenschaft spielen. Viele Teilnehmende haben bei diesem Seminar erstmals anhand mehrerer Beiträge gesehen, wie sich LLM-Modelle zur Entdeckung, Synthese und Optimierung neuer Materialien einsetzen lassen. Sicherlich wird dieses Seminar als Meilenstein für die Entwicklung und den Einsatz von digitalen Verfahren in der Materialforschung in Erinnerung bleiben. Unser herzlicher Dank gilt der Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung, der FAIRmat und dem Helmholtz-Programm „Materials Systems Engineering“ für die finanzielle und organisatorische Unterstützung sowie dem Physikzentrum Bad Honnef für die uns gewährte Gastfreundschaft an einem wunderschönen Veranstaltungsort.

Prof. Dr. Christof Wöll, KIT Karlsruhe
Prof. Dr. Martin Aeschlimann, U Kaiserslautern
Prof. Dr. Roser Valentí, U Frankfurt