Seminarbericht
Aufgrund der einzigartigen Wechselwirkung von Neutronen mit kondensierter Materie sind Streuexperimente mit Neutronen eine der wichtigsten Messmethoden, um den Magnetismus von Volumenproben mit räumlicher Auflösung zu untersuchen. Magnetische Neutronenkleinwinkelstreuung (SANS) hat sich dabei zur Aufklärung der magnetischen Struktur einer Vielzahl unterschiedlicher Systeme bewährt, die von nanotexturierten Materialien bis hin zu emergenten Spin-Texturen stark korrelierter Elektronensysteme und Supraleiter reichen. Diffuse Streusignaturen von ungeordneten Quantenspinsystemen können dabei einen weiten Bereich von Längenskalen abdecken, die von der atomaren Skala bis in den mesoskopischen nm-Bereich reichen – letzteres entspricht dem Messbereich von magnetischer SANS.
Schwerpunkt dieses Seminars, das vom 16. bis 19. Juni 2024 im Physikzentrum stattfand, war die Analyse von diffuser Neutronenstreuung über diese verschiedenen Längenskalen. Die wissenschaftlichen Fragestellungen reichten von kurzreichweitig korrelierten Quantenspinsystemen wie Spin-Flüssigkeiten, Spin-Eis oder Spin-Gläsern bis hin zu nanoskalig ungeordneten magnetischen Proben. Lebhafte Diskussionen folgten u.a. den Vorträgen von Collin Broholm (Johns Hopkins University) zu frustrierten Magneten, von Henrik Ronnow (EPFL Lausanne) zur „Fruchtfliege der Quanten-Vielteilchensysteme“, dem Quanten-Spin-System SrCu2(BO3)2, von Robert Cubitt (Institut Laue-Langevin, Grenoble) zu großen Längenskalen an der Grenze zwischen SANS und Tomographie und von Elizabeth Blackburn (Lund University) zur Magnetisierungsdynamik im Kleinwinkelregime.
Neben den experimentellen Methoden standen vor allem auch die verwendeten theoretischen Konzepte und numerischen Modellierungen, z.B. mikromagnetische und atomistische Simulationen, im Fokus. Beispielhaft waren hier die Vorträge von Joseph Paddison (Oak Ridge National Laboratory) zum Verständnis von Spintexturen und von Andrew Wildes (Institut Laue-Langevin, Grenoble) über magnetische Fehlordnungen auf der atomaren Skala.
Gerade hier zeigen sich Synergien und gemeinsame Ansätze, die wertvolle neue wissenschaftliche Kollaborationen initiieren können. Genau diese Mischung aus theoretischer Modellierung und Experiment - längenskalenübergreifend und vereint unter dem Dach der diffusen Neutronenstreuung an ungeordneten magnetischen Systemen - machte das Seminar zu einem großen Erfolg. Alle Teilnehmenden haben die drei Tage mit vollgepacktem wissenschaftlichem Programm, exzellenten Vorträgen und Posterbeiträgen, mit eingeladenen Sprechern aus Europa und Übersee sehr genossen. Die reichlich eingeplante Zeit für Diskussionen und Zusammenarbeit im einzigartigen Ambiente des Physikzentrums in Bad Honnef ist als besonders wertvoll empfunden worden. Wir danken der WE-Heraeus-Stiftung für die großartige Unterstützung und Organisation dieses Seminares.
Prof. Dr. Sabrina Disch, U Duisburg‐Essen
Prof. Dr. Andreas Michels, U Luxembourg
PD Dr. Sebastian Mühlbauer, TU München