Seminarbericht

Ein besseres Verständnis quantenmechanischer Vielteilchensysteme ist unabdingbar, um viele offene Fragen der theoretischen Physik zu beantworten, von der Formulierung fundamentaler Modelle, die den Aufbau der Materie beschreiben, über deren Niederenergieverhalten in der Kernphysik bis hin zu niedrigsten Energieskalen in der Festkörperphysik. Technisch ist immer die gleiche Frage zu beantworten: Wie berechnen wir effizient die Korrelationsfunktionen lokaler Operatoren, die in Experimenten gemessen werden.

In vielen praktisch relevanten Fällen lässt sich diese Frage mit heutigen Methoden der theoretischen Physik nicht befriedigend beantworten. Integrable Vielteilchenmodelle bieten einen methodischen Rahmen und liefern – sofern sie auf das betrachtete System anwendbar sind –, mit großer Sicherheit und Genauigkeit eine Antwort. Das Interesse an integrablen Vielteilchenmodellen reicht von der reinen Mathematik bis zur Experimentalphysik. Eine der diesjährigen Fields-Medaillen erhielt Hugo Duminil-Copin, ein Kollege aus der Mathematik, der sich um die mathematische Beschreibung von Phasenübergängen, also von Einpunktfunktionen, in integrablen Modellen verdient gemacht hat. Auf der anderen Seite stehen spektakuläre experimentelle Realisierungen integrabler Vielteilchensysteme etwa in kalten Atomgasen.

Dieses Seminar, das vom 23. - -27. Mai 2022 stattfand, hat die ganze Breite von Fragestellungen von der Mathematik bis hin zu experimentellen Anwendungen abgedeckt. Zugleich diente es dazu, die Ergebnisse der DFG-Forschungsgruppe 2316 in einen größeren Zusammenhang zu stellen und international zu diskutieren. Themen waren unter anderem die exakte Berechnung von Formfaktoren und Korrelationsfunktionen von integrablen Gittermodellen und Quantenfeldtheorien, der Einfluss von Störstellen und Rändern sowie integrable Modelle bei endlicher Temperatur und fern ab vom thermischen Gleichgewicht. Das Seminar fand in der gewohnt angenehmen Atmosphäre des Physikzentrums in Bad Honnef unter reger internationaler Beteiligung statt. Für viele Teilnehmer war es die erste Konferenz im Präsenzmodus seit Beginn der Covid-19-Pandemie. Dementsprechend groß waren die Begeisterung und der Enthusiasmus. Neben etablierten Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland nahmen Doktoranden und Postdocs aus Deutschland und dem nahen Ausland teil. Sie nutzten die Gelegenheit, ihre Arbeiten in Postern vorzustellen und mit den führenden Experten in ihrem Arbeitsgebiet zu diskutieren.

Ermöglicht wurde das Seminar durch die großzügige finanzielle und organisatorische Förderung durch die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung, bei der sich die Organisatoren, auch im Namen aller Teilnehmer, herzlich bedanken.

 

Prof. Dr. Hermann E. Boos, Dr.Frank Göhmann, Prof. Dr. Andreas Klümper, Universität Wuppertal