Seminarbericht

Makroskopische Quantenzustände in Festkörpern in Form des Josephson- und des Quanten-Hall-Effekts werden in der Metrologie bereits seit drei Jahrzehnten zur primären Darstellung der Einheiten Volt und Ohm verwendet. Die Stabilität und Präzision dieser elektrischen Quantenstandards lieferte auch ein wichtiges Argument für die 2019 erfolgte Neudefinition des SI-Einheitensystems auf Basis festgelegter Zahlenwerte eines Satzes definierender Naturkonstanten. Während aber Schaltungen aus zehntausenden Josephson-Bauelementen in der elektrischen Metrologie schon lange routinemäßig genutzt werden, steht die Skalierung anderer Anwendungen von Festkörperquantensystemen zum Beispiel von Quantencomputern noch in den Kinderschuhen. Könnten da die aktuellen Forschungen und Entwicklungen im Bereich von Qubits nicht von den ausgereiften Technologien metrologischer Anwendungen profitieren? Und könnte andererseits nicht auch die Metrologie die sich ergebenden Möglichkeiten neuer, hochempfindlicher Festkörper-Quantensensoren für verbesserte Messungen nutzen? Diese Fragen standen am Anfang dieses Seminars das, nach anderthalbjähriger pandemie­bedingter Verschiebung, vom 13. – 16. Dezember 2021 als Onlineveranstaltung stattfinden konnte.

Zur ihrer Beantwortung brachte das Seminar über 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusammen, die sowohl die Grundlagen als auch die Anwendungen unterschiedlicher Festkörper-Quantensysteme theoretisch und experimentell untersuchen. Die dabei vorgestellten Systeme reichten von Einzelelektronenbauteilen und Josephson-Schaltungen über spinbasierte Quanten­sensoren und Qubits bis hin zu topologisch geschützten Materialien und Hybridsystemen. Bereits in den ersten Vorträgen bewiesen die lebhaften Diskussionen die breiten Anknüpfungspunkte zwischen metrologischen und nichtmetrologischen Anwendungen, bei denen auch, aber nicht nur die Theorie als Brücke zwischen beiden Welten vermitteln konnte. So lassen sich beispielsweise Einzelelektronensysteme nicht nur für einen primären Quantenstandard für die elektrische Stromstärke verwenden, sondern die dafür entwickelte Technologie und theoretische Beschreibung auch für die zuverlässige Präparation einzelner Elektronen in sogenannten flying Qubits nutzen. Ein weiteres Beispiel derartiger Synergien war die Verwendung der optimierten Reinraumprozesse für Josephson-Spannungsstandards zur Herstellung dreidimensionaler Nano-SQUIDs. Sie erlauben die hochempfindliche Detektion kleinster magnetischer Feldvektoren, mit denen sich wiederum nanoskalige Spinsysteme untersuchen lassen. Im Bereich der topologisch geschützten Systeme wurde umgekehrt deutlich, dass auch die Metrologie stark von neuartigen Quantenmaterialien profitieren kann: Hier gelang es mittels des sog. quanten-anomalen Hall-Effekts erstmals, einen hochpräzisen Quantenstandard für den elektrischen Widerstand zu realisieren, der sich ohne angelegte Magnetfelder betreiben lässt. Die eingehende Diskussion supraleitender Hybridsysteme, die beispielsweise topologisch geschützte Majorana-Moden mit Anwendungsmöglichkeiten für fehlertolerante Quantencomputer aufweisen, rundete das Seminar ab.

Im Rahmen der Postersitzungen erhielten zudem viele der Doktorandinnen und Doktoranden die erste Gelegenheit, ihre eigenen Forschungsergebnisse vorzustellen und sich mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus ihrem und angrenzenden Bereichen auszutauschen. Wir danken der WE-Heraeus-Stiftung für die Förderung und hervorragende Organisation dieser Tagung, gerade in Anbetracht der erschwerten Bedingungen durch die Corona-Pandemie.

Priv.-Doz. Dr. Hans Werner Schumacher, PTB Braunschweig
Prof. Dr. Patrik Recher, TU Braunschweig