Seminarbericht

Für viele der 80 Teilnehmenden des Seminars zur Physik ultrakalter Quantenmaterie, das vom 12. bis 16. Dezember 2022 im Physikzentrum in Bad Honnef stattfand, war dies die erste Präsenztagung nach der Pandemie. Dank tatkräftiger organisatorischer Unterstützung der WE-Heraeus-Stiftung konnten weitere 50 Teilnehmer via Zoom am wissenschaftlichen Programm teilnehmen. Es bestand aus 25 eingeladenen Vorträgen internationaler Experten, sechs Präsentationen engagierter Nachwuchswissenschaftler sowie knapp 50 Postern. Insbesondere vor Ort waren die Diskussionen im Plenum, während der Pausen oder aber bei den Mahlzeiten äußerst lebhaft. Hierzu haben unter anderem eine Wanderung, eine Weinprobe und die Übertragung der Halbfinalspiele der Fußballweltmeisterschaft im Hörsaal beigetragen.

 

Ein Schwerpunkt des Seminars bestand darin, die aktuelle Grundlagenforschung ultrakalter Quantengase zu beleuchten. So wurde kürzlich geklärt, dass die Fluktuationen eines atomaren Bose-Einstein-Kondensats in einer harmonischen Falle eher durch ein mikrokanonisches als durch ein kanonisches Ensemble beschrieben werden. Bei dipolaren Bose-Gasen gelang es erstmals, Wirbel durch ein rotierendes Magnetfeld zu erzeugen. Außerdem wurde nachgewiesen, dass paradoxerweise thermische Fluktuationen die Erzeugung eines dipolaren Supersolids erleichtern können. Ein weiterer Durchbruch bestand darin, ein dreidimensionales Gas von heteronuklearen Molekülen durch Mikrowellenabschirmung soweit abzukühlen, dass erstmalig Quantenentartung erzielt wurde. Ferner zeigten aufwändige numerische Untersuchungen von Fermionen in optischen Gittern, dass sowohl Wechselwirkung als auch Unordnung unter Umständen eine topologische Phase induzieren. Zudem wurden in eindimensionalen Polariton-Exzitonen-Experimenten Nichtgleichgewichtseigenschaften von photonischen Kondensaten beobachtet. Mit Hilfe eines Datenkollaps‘ wurde gezeigt, dass aufgrund von Phasenfluktuationen die räumliche Kohärenz von Korrelationsfunktionen trotz vorhandener Superfluidität schneller als algebraisch zerfällt.

 

Im Rahmen des Seminars wurde aber auch diskutiert, wie sich ultrakalte Quantengase aufgrund ihrer extrem guten Kontrollierbarkeit beispielsweise in der Quantenmetrologie oder als Quantensimulator anwenden lassen. So erlauben es optische Gitteruhren aufgrund von Vielteilchenwechselwirkungen, die Gravitationsrotverschiebung im Bereich von einem Millimeter aufzulösen, was einer relativen Genauigkeit von 7,6 × 10-21 entspricht. Des Weiteren gelang es durch Raman-Kopplung zweier Bose-Einstein-Kondensate, eine topologische Eichtheorie zu simulieren, bei der durch explizite Brechung der Galilei-Invarianz Chiralität auftritt. Hier besteht die faszinierende Perspektive, künftig anyonische Anregungen untersuchen zu können, die weder einer Bose-Einstein- noch einer Fermi-Dirac-Statistik genügen.

 

Priv.-Doz. Dr. Axel Pelster, TU Kaiserlautern

Prof. Dr. Carlos Sá de Melo, GATECH Atlanta, USA