Seminarbericht

Die meisten chemischen Reaktionen, wichtige industrielle Prozesse und nahezu alle biologischen Vorgänge finden in flüssiger Phase statt. Lösungsmittel „solvatisieren“ Moleküle, d. h. sie bringen diese in Lösung, von den Reagenzien in chemischen Synthesen bis zum Protein in der lebenden Zelle. Die Erforschung, Beschreibung und systematische Beeinflussung der Struktur, Dynamik und Kinetik komplexer Solvatationsphänomene auf molekularer Ebene erfordert neue experimentelle und theoretische Methoden und einen multidisziplinären Ansatz.

Das Ziel dieses Seminars, das vom 17. – 23. September 2023 im Physikzentrum stattfand, war es, die komplexen Phänomene chemischer Reaktionen in Lösungsmitteln zu diskutieren. Dazu kamen die internationalen Teilnehmenden einerseits aus den Bereichen Physik, Physikalische Chemie, Reaktionsmechanistik, Spektroskopie und Synthesechemie und andererseits aus zwei ganz unterschiedlichen Communities. So wurde das Seminar als „International Symposium of Reactive Intermediates and Unusual Molecules (ISRIUM) 2023“ abgehalten, einer Tagungsreihe, die sich seit 45 Jahren mit komplexen Reaktionsmechanismen und der Synthese ungewöhnlicher Moleküle befasst. Gleichzeitig war das Seminar auch ein Workshop des Exzellenzclusters RESOLV (Ruhr Explores Solvation).

Die hochkarätigen Vorträge zeigten die ganze Bandbreite der „Solvation Science“. So wurden grundsätzliche bindungstheoretische Fragen diskutiert, beispielsweise ob eine Einfachbindung eine reine π-Bindung sein kann oder ob sich angeregte Zustände mit dem Konzept der Aromatizität und Antiaromatizität beschreiben lassen. Als spannende neue Technik wurde die zeitaufgelöste Elektronenbeugung mit MeV-Elektronen vorgestellt, die völlig neue Einblicke in ultraschnelle chemische Reaktionen erlaubt. Damit lassen sich beispielsweise wie mit einem Stroboskop Übergangszustände in Reaktionen solvatisierter Moleküle „sichtbar“ machen. Dem aktuellen Arbeitsgebiet der Astrochemie waren ebenfalls mehrere Vorträge gewidmet. Neue Teleskope wie das James Webb-Weltraumteleskop liefern hochaufgelöste Infrarotspektren von interstellaren Eispartikeln, die eine Vielzahl von organischen Molekülen eingebettet haben. Laborexperimente können diese Spektren reproduzieren und die Mechanismen aufklären, die zur Bildung von Molekülen in Eis führen.

Die offene Atmosphäre, in der sich die vorwiegend internationalen Teilnehmenden ausgesprochen wohl gefühlt haben, und das hochkarätige Programm haben zu neuen Ideen und Kooperationen über Fächergrenzen hinweg geführt. Für die großzügige Unterstützung und die professionelle Organisation des Seminars gebührt der WE-Heraeus-Stiftung unser größter Dank.

Prof. Dr. Elsa Sanchez Garcia, TU Dortmund
Prof. Dr. Martina Havenith und Prof. Dr. Wolfram Sander, Ruhr-Universität Bochum